Die Grünen lehnen die kontinuierliche Schwächung der individuellen Sozialhilfe und damit die vorliegende Revision des Sozialhilfegesetzes klar ab. Statt die Ursachen von Armut zu bekämpfen, geraten Personen in Notlagen zunehmend unter Druck: Während die prioritären Massnahmen zur Armutsbekämpfung gemäss Armutsbericht mit der Revision nicht angepackt werden, wird bei der Sozialhilfe unter dem bürgerlichen Spardiktat Stück für Stück abgebaut. Die Grünen fordern eine Revision des Stipendiengesetzes, welche für Jugendliche und junge Erwachsene den Grundsatz „Stipendien statt Sozialhilfe“ umsetzt, wie dies ein im Jahr 2013 überwiesener Vorstoss postuliert. Zudem fordern die Grünen die Schaffung einer Ombudsstelle in der Sozialhilfe.

Die Grünen lehnen die vorliegende Teilrevision des Sozialhilfegesetzes dezidiert ab. Diese dient der Umsetzung der Motion Studer „Kostenoptimierung in der Sozialhilfe“, die bei der Sozialhilfe 22 Millionen Franken einsparen will, was die Grünen im September 2013 vehement bekämpft hatten. Die Grünen kritisieren angesichts der weitreichenden Wirkung, dass der Regierungsrat den Vorstoss bereits im Vorfeld zu zwei Dritteln auf Verordnungsstufe umgesetzt hat.

Die Grünen sind über den wiederholten und weitgehenden Abbau bei der Existenzsicherung im Kanton Bern sehr besorgt (2002: neues Sozialhilfegesetz; 2005: Wegfall Grundbedarf II und Kürzung Grundbedarf I, Einführung Integrationszulage und Einkommensfreibetrag; 2006: Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten; 2011: Abgabe einer Vollmacht zur Informationsbeschaffung bei der Anmeldung zum Sozialhilfebezug, Anzeigepflicht für Sozialarbeitende, stark erweiterte Auskunftspflicht, Einführung Bonus/Malus-System in der FILAG-Revision). Im Juni 2015 überwiesene Vorstösse (wie die Motion Müller 2015.RRGR.281) zeigen auf, dass die Debatte nicht beendet ist. Insgesamt wurde die individuelle Sozialhilfe in den letzten Jahren geschwächt und die Leistungen für die Betroffenen wurden reduziert. Die rote Linie, welche der Regierungsrat verteidigen will, hat er bei der Sozialhilfe längst über- bzw. unterschritten.

Eine Auswertung des Bundesamtes für Statistik BFS kam jüngst zum Schluss, dass der Grundbedarf für Ein- und Zweipersonenhaushalte 90 bzw. 97 Franken höher wäre als die heutigen SKOS-Ansätze. Die SKOS-Ansätze müssten also erhöht werden. Der Betrag für einen Einpersonenhaushalt liegt heute bei 977 Franken. Bereits im Oktober 2013 hat der Regierungsrat entschieden, den Anfang 2014 fälligen Teuerungsausgleich auf dem Sozialhilfe-Grundbedarf nicht mehr zu gewähren.

Stipendien statt Sozialhilfe
Die Grünen lehnen die vorgeschlagenen Kürzungen, namentlich bei der Integrationszulage und den jungen Erwachsenen, klar ab. Die Grünen sind der Ansicht, dass prioritär die Massnahmen im Sozialbericht, welche Armut verhindern sollen, umgesetzt werden müssen. Insbesondere jungen Erwachsenen soll rasch, aber auch nachhaltig, ein Ausstieg aus der Sozialhilfe ermöglicht werden, wie dies die im Juni eingereichte Motion (167-2015) „Chancengleichheit durch Harmonisierung von Stipendien und Sozialhilfe“ fordert. Die Grünen verweisen auch auf den Vorstoss „Stipendien statt Sozialhilfe: Stipendienwesen und Sozialhilfe harmonisieren“ (171-2012), der im März 2013 als Postulat (100 Ja, 40 Nein, 3 Enthaltungen) angenommen wurde.

Existenzsichernde Löhne
Die Sozialhilfe-Quote im Kanton Bern liegt für die Jahre 2011-2013 unverändert bei 4,2 Prozent. Gemäss Sozialhilfebericht liegt die Sozialhilfe-Quote des Kantons Bern immer etwas über der Quote der Gesamtschweiz. Ein gewichtiger Grund dafür dürfte sein, dass der Kanton Bern relativ wenige der Sozialhilfe vorgelagerte, bedarfsabhängige Sozialleistungen kennt (zum Beispiel Ergänzungsleistungen für Familien). Es ist zu befürchten, dass aufgrund der massiven Kürzung bei den Prämienverbilligungen für die Krankenkasse viele Personen neu in ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit gefährdet und in Richtung Sozialhilfe gedrängt werden. Gemäss Sozialhilfebericht haben rund ein Drittel der erwerbstätigen Sozialhilfe-Beziehenden einen Beschäftigungsgrad von 100 Prozent; knapp zwei Drittel der erwerbstätigen Sozialhilfe-Beziehenden einen Beschäftigungsgrad von mehr als 50 Prozent. Hier zeigt sich, dass ein Teil der Working-Poor-Problematik mit der Lohnsituation auf dem Berner Arbeitsmarkt zusammenhängt. Hier fordern die Grünen im Rahmen des Arbeitsmarktgesetzes existenzsichernde Mindestlöhne.

Ombudsstelle Sozialhilfe
Zusammenfassend lehnen die Grünen die vorliegende Revision des Sozialhilfegesetzes ab. Die vorliegende Revision steht, wie auch die bisherigen Abbauschritte, im klaren Widerspruch zur Armutsbekämpfung. Zum Schutz der Sozialhilfe-Klientinnen und -Klienten und ihrer Ansprüche fordern die Grünen eine Ombudsstelle Sozialhilfe.

Beilage:
Vollständige Stellungnahme der Grünen Kanton Bern (PDF)

Für weitere Informationen:

Natalie Imboden, Co-Präsidentin Grüne Kanton Bern, Grossrätin, 079 706 62 84